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Gruppenjagd mit Drama

Von Hering bis Delfin: Fische können das Teamwork in ihrer Blase lernen und immer weiter zu verbessern. Dabei wenden Orcas vor den Küsten im Norden Norwegens durchaus Methoden an, die verblüffend an das Verhalten der Gestreiften Marline in Kalifornien erinnern.

  • Mehr als zwei sind eine Gruppe: Orcas auf gemeinsamer NahrungssucheFoto: /Michael Runkel via www.imago-images.de

    Mehr als zwei sind eine Gruppe: Orcas auf gemeinsamer NahrungssucheFoto: /Michael Runkel via www.imago-images.de

Im Wasser ist zwar nicht alles, aber doch vieles anders als an Land. Während Pflanzenfresser sich hinter dichter Vegetation oder hinter einem Felsen oder einem Hügel verstecken können, gibt es solche sicheren Rückzugsorte im Meer abgesehen von Küstenstreifen und Riffen kaum. Sardinen und andere kleine Fische schließen sich daher gern zu Schwärmen zusammen, in denen sich die Individuen zwischen ihren Artgenossen verbergen können. Dann haben die Angreifer oft Schwierigkeiten, sich ein Opfer herauszupicken.

Das Leben in einem Schwarm ist sicherer

Würde ein Hering dagegen ein Single-Leben bevorzugen, sänken seine Überlebenschancen. Ist ein Angreifer doch häufig größer, und damit oft auch kräftiger und ausdauernder. Ohne zuverlässiges Versteck zieht eine kleinere Beute in dieser Situation über kurz oder lang fast zwangsläufig den Kürzeren. Das Leben in einem Schwarm ist dagegen sicherer – und erschwert das Vorhaben der Angreifer deutlich. Raubfische wie die Gestreiften Marline vor der Pazifik-Küste im Süden der zu Mexiko gehörenden Halbinsel Niederkalifornien kommen trotzdem an Beute. Wie sie das machen, untersuchen Jens Krause und Matthew James Hansen vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin.

Marline treiben Sardinenschwärme zur Wasseroberfläche

Dabei hilft den Forschern eine bewährte Strategie der Fische: Die Gestreiften Marline schließen sich zu Gruppen von wenigen bis zu vielleicht hundert Tieren zusammen und treiben einen Sardinenschwarm erst mal zur Oberfläche. „So ist der Bewegungsspielraum der Fische eingeschränkt, weil sie nach oben nicht mehr fliehen können“, erklärt Hansen. Dieses Verhalten verschafft der Forschung gleichzeitig einen Riesenvorteil: „Wir können dort ins Wasser gehen, das Geschehen mit hochauflösenden Videokameras filmen und die Aufnahmen dann wissenschaftlich auswerten“, schildert Krause das Kernelement der IGB-Untersuchungen.

Ausgangspunkt der Forschung war die Frage, wie es denn eine zwanzig Zentimeter lange Sardine schaffen kann, einem Fächerfisch oder einem Gestreiften Marlin zu entkommen, der mit einer Länge von vielleicht zwei Metern nicht nur viel größer, sondern vor allem auch viel schneller ist? Tatsächlich zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Fächerfische bis zu 36 Stundenkilometer erreichen. „Alle anderen Fischarten, die wir in dieser Region gemessen haben, waren langsamer“, erklärt Krause.

Die Frage bleibt also, wie Sardinen den schnellen Fächerfischen und Marlinen entkommen können. „Die kleinen Schwarmfische sind viel wendiger“, liefert Hansen eine Erklärung, die sich im Meer auch gut beobachten lässt: Versucht ein Hai, sich eine Sardine zu schnappen, weichen die gefährdeten Tiere schnell aus. Im vorher relativ dichten Schwarm bildet sich um den Kopf des Angreifers herum rasch ein Hohlraum und die Attacke stößt ins Leere.

Schwarmfische schenken dem Speer am Kopf des Marlins wenig Beachtung

Da drängt sich gleich die nächste Frage auf: Wie machen Fächerfische und Marline in einem solchen hoch agilen Schwarm Beute? Schließlich gelten die lang gestreckten Fische als wahre Fressmaschinen, die den ganzen Tag ihrer wichtigsten Beschäftigung – Sardinen fressen – nachgehen. Wachsen die schlanken Räuber doch innerhalb eines Jahres auf eine Länge von rund einem Meter heran. Das wiederum funktioniert nur, wenn man reichlich frisst. Und das gelingt den Fächerfischen und Gestreiften Marlinen vor der Pazifikküste Mexikos mit Hilfe ihres Schnabels, haben die IGB-Forscher herausbekommen.

Beide Arten gehören zur Familie der Speerfische, die ihren Namen einem auffallenden Merkmal verdanken: Der Knochen ihres Oberkiefers verlängert sich in einer dünnen, runden Struktur, die wie ein Speer nach vorne zeigt. Während Schwarmfische einen Kopf sofort als Gefahr identifizieren, wenn er ihnen zu nahe kommt, schenken sie dem Speer offensichtlich keine allzu große Aufmerksamkeit. Während der Kopf eines Speerfisches außerhalb der Entfernung bleibt, bei der Sardinen ausweichen, kann der lange Schnabel so in den Schwarm hinein gesteckt werden, ohne die agilen Sardinen zu alarmieren.

Bewegt ein Fächerfisch oder ein Gestreifter Marlin diesen Speer dann schlagartig zur Seite, trifft er damit gleich mehrere Schwarmfische. Diese geschwächten Sardinen sind dann leichte Beute – nicht nur für den Angreifer selbst, sondern auch für seine Artgenossen, die den Sardinenschwarm vorher gemeinsam an die Oberfläche getrieben haben. „Mehr als einmal haben wir beobachtet, dass auch Seelöwen diese leichte Beute absahnen, obwohl sie sich vorher am Zusammentreiben des Schwarms gar nicht beteiligt hatten“, erklärt Hansen.

Um keine Artgenossen zu verletzten, greifen Speerfische immer einzeln an

Bei der Jagd greift aus gutem Grund immer nur ein Speerfisch an: „Der Schnabel ist ja eine gefährliche Waffe, mit der man auch Artgenossen verletzen könnte, die gleichzeitig angreifen“, nennt Krause den Hintergrund dieses Verhaltens. Bei ihren Schnabelschlägen kämpfen die Gestreiften Marline auch noch mit einem physikalischen Problem: Die schnelle Bewegung erzeugt eine Gegenkraft, die den Körper der Tiere zur anderen Seite treibt. Die Fächerfische vermeiden das mit einem Trick: Unmittelbar bevor sie ihren Schnabel in den Schwarm stecken, stellen sie ihr Rückensegel auf. „Genau wie der Kiel eines Bootes vergrößert dieses Segel den Widerstand gegen die Gegenkraft erheblich und stabilisiert so den Körper des Fisches“, schildert Krause eine weitere Verbesserung dieser Jagdmethode in der Evolution.

Im Laufe der Entwicklung sind also Arten entstanden, die in Gruppen sehr erfolgreich jagen. Allerdings sind Gestreifte Marline und Fächerfische offensichtlich keine Freunde in einem eingespielten Team, das dauerhaft zusammenbleibt. „Zu einer solchen Gruppe können immer wieder neue Mitglieder stoßen“, erklärt Hansen. „Andere verschwinden wieder, ein enges Netzwerk kann sich so kaum bilden.“

Orcas jagen in der Gruppe Wale, die deutlich größer sind als sie selbst

Die Speerfisch-Gruppen ändern sich also laufend. „Das ist bei Zahnwalen anders, von denen viele hochsozial leben und feste Bindungen zueinander haben“, erklärt Fabian Ritter. Der Meeresbiologe aus Berlin ist Experte für Wale und engagiert sich als Vorsitzender des von ihm gegründeten Vereins M.E.E.R. eV seit 30 Jahren für den Schutz von Walen und Delfinen. „Einige dieser Gruppen bestehen aus Verwandten, bei vielen Arten schließen sich aber auch nicht verwandte Tiere dauerhaft zusammen“, schildert Ritter die Zusammensetzung solcher Verbände.

Gut bekannt sind Gruppenjagden besonders bei Delfinen, deren größte Vertreter die Orcas sind, auch Schwertwale genannt. Ähnlich wie Wölfe und Löwen an Land hetzen die großen, normalerweise sieben bis acht Meter langen Tiere noch größere Beute wie Buckelwale oder sogar die 30 Meter langen Blauwale so lange, bis diese langsamer werden. Jetzt kreisen sie ihr Opfer ein, beißen und rammen ihre Beute, die sie so weiter schwächen, bis sie schließlich am Ziel sind.

Da Orcas über hundert Jahre alt werden können, haben sie reichlich Zeit, das Teamwork in ihrer Gruppe zu lernen und immer weiter zu verbessern. Dabei wenden sie zum Beispiel vor den Küsten im Norden Norwegen durchaus Methoden an, die verblüffend an das Verhalten der Fächerfische und Gestreiften Marline vor der Halbinsel Niederkalifornien ähneln: Mehrere Orcas schwimmen dort um einen Schwarm Heringe herum, denen sie ihre blitzweißen Bäuche zeigen, und treiben ihre Beute so noch enger zusammen. Dann schlagen sie mit ihrer mächtigen Schwanzflosse mitten in den Schwarm hinein und betäuben so etliche der Fische, die dann leichte Beute sind. „Das klappt mit zunehmender Übung immer besser“, erklärt Ritter.

Beeindruckend ist auch die raffinerte Jagd einiger Orca-Gruppen in den Gewässern der Antarktis. Zunächst spähen sie aus, ob auf einer Eisscholle vielleicht eine Robbe ein Nickerchen hält. Dann schwimmen mehrere Schwertwale dicht unter der Wasseroberfläche nebeneinander schnell so auf die Scholle samt Beute zu, dass sich die Bugwellen der Tiere zu einer stattlichen großen Welle aufschaukeln, die dann die Robbe von ihrem Ruheplatz spülen kann. Im Wasser aber haben diese Säugetiere keine Chance gegen die viel größeren Orcas, die ebenfalls Säugetiere sind, und sind leichte Beute.

Große Tümmler spülen ihre Beute mit einer Welle auf Schlammbänke

Ähnlich gut eingeübte Gruppenjagd-Kulturen gibt es auch bei vielen anderen Delfin-Arten wie dem Großen Tümmler. An den sumpfigen Küsten und Kanälen Floridas schwimmen diese Tiere ebenfalls nebeneinander und erzeugen mit ihren kombinierten Bugwellen eine so große Welle, dass diese etliche Fische auf die bei Ebbe trocken liegenden Schlammbänke schwemmt. Von dort holen sich die Tümmler ihre Beute dann in einem zweiten Anlauf, bei dem sie auf der Seite liegend auf die Schlammbank schlittern. „Weil sie dabei meist auf der gleichen Seite rutschen, sind dort die Zähne einseitig abgeschliffen“, schildert Ritter eine Folge dieser Methode. „Auch diese Methode wird über Generationen weiter gegeben und erfordert sehr viel Übung, weil der Schwung ja nicht zu groß sein darf, damit die Tümmler wieder ins tiefe Wasser zurück kommen.“

Bei ihren Gruppenjagden setzen die Großen Tümmler manchmal auch auf Teamwork mit anderen Arten. Dabei schwimmen die Delfine bei der Stadt Laguna im Süden Brasiliens parallel zu einem Strand, um Meeräschen zu jagen. Wenn sie eine Gruppe dieser Fische entdeckt haben, tauchen die Tümmler ab und weisen die andere Art mit einer typischen, rollenden Bewegung darauf hin, dass unter Wasser fette Beute wartet. Diese andere Art besteht aus Menschen, die solche „Gesten“ der Delfine gut verstehen: Die Fischer werfen dann ihre Netze auf die Fischschwärme und machen so gute Beute. „Diese gemeinschaftliche Jagd ist seit Generation von Menschen und Tümmlern gut eingeübt“, erklärt Ritter. Angeblich gibt es diese Kooperation bereits seit 1847. Noch nicht geklärt ist allerdings, ob die Wurfnetze der Menschen vielleicht Meeräschen zu den Tümmlern treiben und so auch deren Ernte verbessern.

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